
Samantha Harvey. Umlaufbahnen
Die Erde vom Weltraum aus zu betrachten sei ein bisschen wie bei einem Kind, das vor dem Spiegel zum ersten Mal begreife, sich selbst zu sehen….2
Einleitung
Samantha Harvey, eine britische Autorin, wurde 1975 in Kent geboren. Für ihren Roman Orbital (Umlaufbahnen) gewann sie 2024 den Booker Prize, den wichtigsten britischen Literaturpreis.
Inhalt
In einer Raumstation schweben sechs Astronauten und Kosmonauten, vier Männer und zwei Frauen, aus verschiedenen Ländern um die Erde. Ähnlichkeiten mit der Internationalen Raumstation (ISS) sind nicht zu übersehen.
Der Roman beschreibt einen Tag in dieser Raumstation. Jedoch ist in der Raumstation die vertraute räumliche und zeitliche Orientierung außer Kraft gesetzt und ein Tag verliert seine gewohnte irdische Dauer. Für eine Erdumrundung benötigt die Raumstation neunzig Minuten. Innerhalb eines irdischen Tages erlebt die Besatzung 16 Sonnenaufgänge und -untergänge. Um die Orientierung nicht zu verlieren, führen die Astronauten eine Strichliste für die vergangenen irdischen Tage.
In kurzen Abständen überfliegt die Raumstation einen Kontinent nach dem anderen. Schnell ändern sich mit den Orten, über denen die Raumstation hinwegfliegt, auch die Tageszeiten. Erst bei Nacht, wenn die Städte beleuchtet sind, wird das Leben auf der Erde sichtbar. Länder sind wegen der fehlenden Nationengrenzen nicht zu erkennen.
Eine dünne Metallhaut schützt die Besatzung vor dem tödlichen Universum, so wie auch die Atmosphäre eine Hülle um die Erde bildet, und die Menschen vor der tödlichen Strahlung des Universums schützt.
Sie leben in einer „Blechbüchse“, in einem kühlen und sterilen, an Zweckmäßigkeit orientiertem Labor. Hier entsteht erst gar nicht das Gefühl von Wohnlichkeit und zu Hause zu sein. Manchmal sehnen sie sich nach der wilden Natur der Erde.
Der Tag ist ausgefüllt mit zahlreichen Aufgaben und minutiös geplant. Weil die Astronauten ständig überwacht werden, birgt die irdische Freiheit vielleicht mehr Gefahren.
Das Leben der Astronauten und Kosmonauten schwankt zwischen einem banalen Alltag und atemberaubenden Ausblicken. Die Gabeln werden wegen der Schwerelosigkeit mit Magneten am Tisch befestigt und der Urin der Besatzung wird in Trinkwasser verwandelt. Täglich mehrere Stunden Training sollen den Muskelabbau in der Schwerelosigkeit verhindern.
Samantha Harvey beschreibt in poetischen Sätzen die überwältigende Schönheit und Einzigartigkeit der Erde. Die Erde ist ein farbenreicher Edelstein, umgeben vom Schwarz des Universums. Die Erdoberfläche erinnert an ein Gemälde. Mit den permanent ändernden Lichtverhältnissen verändern sich auch die Farben dieses Gemäldes.
Die Beschreibungen der Kontinente, Landschaften, Meere und Flüsse bei einer neu beginnenden Umrundung erzeugen das Gefühl von Bewegung und gleichzeitiger Monotonie. Dadurch wirkt das Leben auf der Raumstation entspannt und friedlich. Mit der Schwerelosigkeit entsteht für die Besatzung das Gefühl von Leichtigkeit, weil sie ihr Körpergefühl verlieren. Sie schweben und „schwimmen“ durch die Raumstation.
Auch im Weltraum können sie ihr bisheriges irdisches Leben nicht abschütteln. Sie sehen sich als Teil dieses Planeten und fühlen sich mit den Menschen verbunden. Sie beobachten einen bedrohlichen Taifun und ahnen die Zerstörung auf dem Planeten und seine Verwundbarkeit. So entsteht bei ihnen ein Beschützerinstinkt.
Zusammenfassung
Ein Roman ohne Handlung und Plot. Der Leser bekommt Fakten über das Leben auf der Raumstation. Er lernt die Empfindungen und Gedanken der Besatzung kennen und ihre Gefühle beim Betrachten der Erde. Ein melancholischer Roman mit einer manchmal zu pathetischen und kitschigen Sprache. Der Begriff „Mutter Erde“ klingt für mich zu abgedroschen. Trotzdem sind die Beschreibungen der Erde aus der Perspektive der Raumstation schön und lesenswert und zeigen dem Leser eine neue Sicht auf die Erde.
Weiterhin stellt der Roman die bekannten philosophischen Fragen: die Stellung und Bedeutung des Menschen im Universum. Wie sinnvoll ist technischer Fortschritt? Was wollen und suchen wir Menschen im Weltall? Gibt es neben uns noch intelligentes Leben im Universum? Werden intelligente Lebewesen jemals die Sonden Voyager 1 und 2 finden und die dort enthaltenen Botschaften der Menschheit entschlüsseln und mit der Menschheit Kontakt aufnehmen?

Popmusik: Spacerock von Hawkwind-Silvermachine
Hawkwind sind eine britische Band und wurden 1969 gegründet. In den Anfängen eine Underground Band schufen sie den Spacerock, einen Mix aus Hard Rock, psychedelischen Elementen und Science-Fiction-Texten. Dazu gehörten psychedelische Lichtshows, Albumcover mit fantastischen Motiven und Auftritte der Band unter Drogen. Durch die Verwendung repetitiver Muster und den Einsatz des Synthesizers entstehen „spacige“ Klangfarben. Die psychedelischen Elemente und der progressive Rock verbinden sie mit Pink Floyd. Doch die Musik von Hawkwind klang aggressiver. Der Saxophonspieler Nik Turner beschreibt den entscheidenden Unterschied zu Pink Floyd.
Wir waren die bodenständigen Pink Floyd. Wir waren völlig echt und keine Architekturstudenten oder so etwas. Wir waren nicht in Oxford, sondern einfache Rowdys wie die Sex Pistole.4
Der Guardian schrieb.
….Hawkwind’s core fanbase were young working-class men, unimpressed by the pseudo-classicism of prog and bored by rock elders such as the Stones and the Who. They came to experience something they couldn’t get anywhere else.5
Das einzige Gründungsmitglied, der Sänger und Gitarrist Dave Bock, gehört nach zahlreichen Besetzungswechseln noch heute der Band an. Wichtig für die Band waren der Sänger, Gitarrist und Science-Fiction-Fan Robert Calvert und die zeitweise Zusammenarbeit mit dem Science-Fiction-Autor Michael Moorcock. Beide prägten die Band mit ihren futuristischen Songtexten.
1972 hatte die Band ihren kommerziell größten Erfolg mit dem Song Silvermachine. Robert Calvert schrieb den Text für den Song. Co-Autoren waren Dave Brock und seine Ehefrau. Die Punkband The Sex Pistols coverten diesen Song.
Ein bekanntes Mitglied der Band war von 1970 bis 1975 Lemmy Kilmister, der spätere Begründer der Hardrock Band Motörhead. Die Band war von Rober Calverts Gesang nicht überzeugt und so übernahm Lemmy Klimister den Leadgesang.
Zu dem Song wurde Calvert inspiriert von dem Essay des surrealistischen Schriftstellers Alfred Jarrys How to Construct a Time Machine. Für Calvert beschreibt Jarry in seinem Essay, den Bau eines Fahrrades und seine physikalischen Grundlagen. Der Gedanke ist nicht abwegig, denn Jarry fuhr viel Fahrrad.
Nach Calvert war der Song auch von My White Bicycle von der Band Tomorrow inspiriert3. Der Song Silvermachine erzählt nicht von einem Raumschiff, sondern von einem silbernen Fahrrad. So gesehen ist der Song eine Parodie.
1) Samantha Harvey. Umlaufbahnen. Aus dem Englischen von Julia Wolf. dtv Verlagsgesellschaft. 11. Auflage 2025.
2) BR2. Samantha Harvey: Bunkerpreis-prämierter Roman jetzt auf Deutsch. 14.11.2024, 16:21 Uhr. Abgerufen am 4. Juli 2025.
3) Louder. The story of Hawkwind’s Silver Machine. By Malcolm Dome ( Prog ) last updated 8 October 2022. Abgerufen am 4. Juli 2025.
4) Classic Rock. Hawkwind – Wie vom anderen Stern. Simone Müller März 2014. Abgerufen am 4. Juli 2025.
5) The Guardian. Acid, nudity and sci-fi nightmares: why Hawkwind were the radicals of 1970s rock. Joe Banks. Mon 19 Oct 2020 12.06 CEST.
Abgerufen am 4. Juli 2025